27.02.2011

Nichts als das

Unvergänglich ist nichts
als der Geruch,
den Du aus dem Haus
Deiner Großeltern kennst.

Kartoffelwasser, Hefe, Puschen,
versteckter Schnaps und
zweimal gelesene Zeitung,
Schweiß von armer Arbeit
unter dem Kittel,
Langeweile,
Angst vor dem Tod und
Vorfreude auf die Erlösung.

Denn eines Tages
wirst Du ihn
bei Deinen Eltern wiederfinden,
bald schon,
eines weiteren Tages
Deine Kinder bei Dir.
Und irgendwas lebt weiter,
ohne es zu wollen.

Unvergänglich ist nichts
als das.
Please remember me
happily.
Ein Mann reißt ein Blatt vom Kalender ab,
doch statt Tagen, Zahlen steht bloß da:
»Irgendwann im Mai.«

26.02.2011

Wie Kinder Schlachten miteinander gespielt haben

Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen; als sie nun Nachmittag miteinander spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: »Du sollst das Schweinchen und ich der Metzger sein«; hat darauf ein bloß Messer genommen und es seinem Brüderchen in den Hals gestoßen. Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete, hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz. Darauf lief sie alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; deswegen dann die Frau so voller Angst ward, dass sie in Verzweifelung geriet, sich von ihrem Gesinde nicht wollte trösten lassen, sondern sich selbst erhängte. Der Mann kam vom Felde, und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, dass er kurz darauf gestorben ist.

(Gebrüder Grimm)

24.02.2011

Du sollst nicht sollen.

21.02.2011

»I can see every monster as they come in.«
(Truman Capote)

17.02.2011

Wenn sie dich fragen:
Welcher Teil des Feuers
willst du sein?

Entscheide dich
für das Feuer.
Das Licht
wird grau, nagt weiß
am Klang des Atems
und steht und steht
am Fenster beiderseits.

Es paust ihn blass
ins Tauwasser
in das ich
Namen schreibe.
Namen.

Die verlaufen Wort
für Zeile, für alles
über die Bettstätten
über die Obstschlepper
wie Narben, wie Gitter.

Das Licht
wird gelb, wird Tag
und Nacht, stirbt schwarz
wird grau, nagt weiß
das Licht.

Jahr und Tag

Pflügen
den Stab über jemandem brechen
ein Tier mit dem Gesicht berühren
in die Winterluft ausatmen
von einem Laib Brot ein Stück abreißen
schlafen
schlafen
schlafen
aufwachen
pflügen.

Wie lang dauert dies Leben noch,
fragte sie,
und er sagte:
So lang
wie die Zeit
zwischen Hund
und Wolf.

15.02.2011

In jeder Bucht wie in der ersten

Ich sah Dich lila
am Aufgang schlafen
in jeder Bucht
wie in der ersten.

Als ein Schiff kam
und ich schwamm
wie ich es wollte.

Was ist
ist nur?
Kann nicht sagen

Sehe nur Dich.

Nichts wovon gut
zu sagen
wie sehr
ich Tropfen
trinken will
von Deinem Hals.
Ach, Ihr!

Ach, ich.

14.02.2011

»I confess, I do not believe in time.«
(Vladimir Nabokov)
Traum von sich selbst als von sich selbst träumendem Menschen

12.02.2011

Die Ruhe,
bei den vertrockneten Pflanzen stehend,
im aufgegebenen Lokal.

Draußen schneite es,
ohne liegen zu bleiben.

Er sah Kinder,
die wie Erwachsene lachen,
die wie Affen lachen.

Selbst der Müdigkeit gegenüber
war er noch gleichgültig.
Wie ein Fremder ohne Land,
in dem er fremd sein könnte.

Und er wusste:
So tief wie er war
konnten sie nicht mal sinken.

08.02.2011

All das ist jetzt schon so lange hin.
Gott nennt mich »Gott«.


»Live fast, die young, and have a beautiful looking corpse.«
(James Dean)

Dämmerung

Ich bin vielleicht zwei Jahre alt und gerade wachgeworden. Die grüne Jalousie ist heruntergelassen, und zwischen den Gitterstäben meines Bettes hindurch sehe ich in die Dämmerung in meinem Zimmer, die aus lauter kleinen roten, grünen und blauen Teilchen besteht, wie bei einem Fernseher, wenn man zu nah rangeht, ein stiller Nebel, in den durch ein pfenniggroßes Loch in der Jalousie hindurch bereits der Morgen hineinflutet. Mein Körper hat genau die gleiche Temperatur und Konsistenz wie seine Umgebung, wie die Bettwäsche, ich bin ein Stück Bettwäsche zwischen anderen Stücken Bettwäsche, durch einen sonderbaren Zufall zu Bewusstsein gekommen, und ich wünsche mir, daß es immer so bleibt. Das ist meine erste Erinnerung an diese Welt.

(Wolfgang Herrndorf)

04.02.2011

Gebet

Der Vater betete:
»... der du bist im Himmel.«

Und der Sohn fragte:
»Ist Gott gestorben?«

03.02.2011

An der Haltestelle wartet die junge Frau. Jetzt kriegt sie das Gefühl, der Bus kommt nicht, obwohl er kommen wird und sofort kommen kann. Es regnet auf die junge Frau und die Dinge umzu.
Über die Straße kommt ein Mann, er hat einen Schirm. Sein Schirm ist groß. Sein Schirm ist schwarz. Er steht mit dem Schirm unweit der jungen Frau, die sich auf der Welt nichts mehr wünscht, als dass er nicht kommt und ihr einen Platz unter dem Schirm anbietet. Doch er kommt, er lächelt, er kommt. Er bietet ihr einen Platz unter dem Schirm an. Sie stellt sich dazu und steht jetzt mit dem Mann unter dem Schirm. Sie spricht nicht. Er spricht viel.
Sie ist eingesperrt unter dem Schirm. Der Schirm ist groß. Der Schirm ist schwarz. Und es regnet in einem fort auf die Dinge umzu.

02.02.2011

Kehr aber wieder

Der letzte Tag
war gestern
und ich so traurig
die Sonne nie weißer

Bis Du
Entfernte
aufgehst
wollte ich weinen

weinen
und weinen
immer mehr weinen
und dann

nie wieder
aufhören.