30.12.2011

Der Lügner

Der Mann war von seiner Frau als Lügner bezeichnet worden, seine Freunde hatten ihn einen Lügner genannt, seine Mutter einen Lügner, die Kunden hielten ihn für einen Lügner, für die Kinder war er ein Lügner, sein Hund vertraute ihm nicht. Aus diesen Gründen und diesem also einzigen Grund ging der Mann auf sein Zimmer und tat so, als erschösse er sich.
»Alle glücklichen Familien ähneln einander. Alle unglücklichen Familien aber sind auf ihre eigene Art unglücklich.«

 (Tolstoi)
»Er schwamm, aber der Algenjunge war tot. Trotzdem schwamm er gut. Tauchte manchmal.«

(Roberto Bolano)

29.12.2011

Oh, warme Decke Resignation: Wer kommt und zieht dich über meine Schultern?

27.12.2011

Wissen Sie, ich bin der Schäferhund, der die Ordnung verachtet. Der mit dem Zweifel. Der im Zelt schläft. Der geradeaus schaut, wenn er gekämmt wird. Der, den die Schafe bemitleiden. Der es nicht mehr lange macht. Der gar kein Hund ist, wissen Sie. Nicht?
»Antworte du selbst nicht anwesend, sonst läufst du Gefahr, nicht verstanden zu werden.«

(Rene Char)
Wer nicht tot sein will
muss fühlen.

26.12.2011

Muskauer Straße

2. Weihnachtstag, und der Straße ist alles gleichgültig. Schlafen die Menschen? Sind sie tot? Gab es sie denn jemals? Die Straße, sie empfängt wie ein kaputter Fernseher, nichts, ohne Pause, bis ins nächste Jahr und vielleicht länger.
Diese Gegend: Als Gott sie schuf, war er noch ein Kind. Und später schämte er sich ihrer.

23.12.2011

Ein Hund schaut, wenn er gekämmt wird, geradeaus.
Still – wie ein Friedhof.
Noch stiller – wie ein kleiner Friedhof.
Und dann riss er sich die Haut vom Leib. Er hatte irgendwo gelesen, dass das gut sein soll.
»Sie werden mich doch nicht umbringen wollen!
Aber ich Sie.«

(Bertolt Brecht an Thomas Mann)

22.12.2011

»Als hätte ich damals wissen können, was der Norden ist.«

(Dragan Aleksic)
Auch Opfer unter den Deutschen.

21.12.2011

Tue es. Oder tue es nicht.
Du wirst beides bereuen.
Der Mann mit den zwei Armen.
Träumt der Vogel auch vom Fliegen?
Denkt der Wal manchmal an sich?
Was macht der Hund da auf der Straße?
Ich bin dein Lieblingspferd.
Ich ahne nichts.

20.12.2011

Das habe ich so nicht gesagt. Ich habe gesagt: »Das habe ich so nicht gesagt.«

18.12.2011

Claudia: 1960-1968

Ihr Grab ist planiert worden, gestern oder vorgestern Morgen. Die Angehörigen, die sich im Büro melden sollten, leben nicht mehr in der Stadt. Der Himmel leuchtet wie eine erloschene Laterne an einem verseuchten See. Tannen, tote Tannen. Wer war Claudia? Ein herausgerissener Grabstein. Er steht neben einer Schubkarre, verkehrt herum.

Kreuzberglungenkrebs

Auf den Tod warten, als wäre er ein Bus.
Im Regen, mit den anderen Leuten
mit denselben Gesichtern.
Rauchen, währenddessen,
das Sputum vor den Schuhen.
Der Tod kommt, wenn man sich eine ansteckt.
Da, hinter der Ecke, Richtung Neukölln:
Ich kann ihn schon hören.

12.12.2011

Der junge Mann und kein Meer.

11.12.2011

Sie trug die Totenmaske seit einer Woche zur Probe. Nun war sie sich gewiss: Sie würde sie behalten. Warum denn nicht?
Die Traurigen und die Ignoranten – zwischen ihnen verläuft die Grenze. Die, die wissen, was geschehen ist. Und die, die es nicht wissen wollen. Vielleicht gibt es einen in jeder Stadt, der es weiß und trotzdem nicht traurig ist. Vielleicht habe ich ihn getroffen, eben, im Laden. Vielleicht war er auch bloß verrückt.
»Dem alten Schirme
ist diese Welt und Mondnacht
nur Nieselregen.«

(Buson)
Und so kam es, dass der Junge zu glauben anfing, die Hausaufgaben seien schwerer als das Leben.
So weich, dass es hart ist.

08.12.2011

Es war eine schwierige Frage, die man ihm gestellt hatte. Aber als er im Licht des Nachmittags über einer Tanne den Falken fliegen sah, sagte er, ganz leicht, wie mit einem Schulterzucken: »Ja.«
Zwei tote Fliegen in meinem Zimmer.
Wer hat sie getötet?
Und warum?

07.12.2011

»Leben heißt, beharrlich einer Erinnerung nachzuspüren.«

(René Char)

04.12.2011

»Es wäre doch sehr tröstlich«, dachte er bei sich, als ihm wie immer niemand einfiel, mit dem er über jenes sagenhafte Früher sprechen konnte, »wenn sich die Tage an sich selbst erinnerten.«
Der Vater schwieg die meiste Zeit, er dachte wenig, zumindest schien es so. Am liebsten fühlte er seinen schweren Körper auf der Mutter am Abend. Er war wahrscheinlich der größte Künstler, dem der Sohn in seinem Leben begegnen würde.

Beziehungsweise

Ich bin ein Lamm. Ich bin ein Toter.

01.12.2011

Just keep counting the stars like someday you'll find out just how many there are and we all can go home 'cuz there's nothing as sad as a man on his back counting stars.
Das Leben ist ein Hund,
sein Sinn der Knochen,
von dem er nicht mehr weiß,
wo er ihn vergraben hat.