29.03.2011

Am Morgen auf dem Gehsteig
die tote Hummel.
Der Sommer kommt.

28.03.2011

Schade, sagte sie.
Was denn, fragte er.
Ach! Alles.
If I'm not a lion –
well, alright.

27.03.2011

Auf dem Seerosenblatt ein Frosch.
Aber was macht er
für ein Gesicht?

(aus Japan)

25.03.2011

Das kleine Mädchen fragt:

Opa, wenn ich male,
malt dann mein Kopf
oder meine Seele?

Ich meine:
Male dann ich,
oder malt Gott?

24.03.2011

Die, die die sind, die sie selbst vergessen haben.
Die Polizei hält einen Mann in seinem Auto an. Er dürfe nicht weiterfahren. Sein Liebeskummer sei zu stark.

21.03.2011

Die mit dem unsichtbaren Herzen.

19.03.2011

»Wir haben von unserem eigenen Körper, in dem unaufhörlich so viele Unlust- und Lustgefühle zusammenströmen, keine so klar umrissene Vorstellung wie von einem Baum oder einem Hause oder einem Vorübergehenden.«
(Marcel Proust)


Michael Wesely

Das Haus, die Zeit, die Leute

Heute um zehn begann der 82. Frühling,
den dieses Haus erleben wird.
82 Winter schon stecken
kalt in seinen Knochen.

Es weint nicht mehr, hat nie geweint,
denken die Leute, die in ihm wohnen,
weil sie es nicht weinen hören,
nur ächzen, wenn die Wetter wechseln.

So viele von ihnen sind in ihm gestorben,
Wand an Wand mit den Lebenden,
nachts, tags, wie viele, das weiß es nicht.
Das Haus kann sie nicht zählen.

Die Zeit vergeht schnell, so schnell,
dass die Leute sie nicht sehen –
und umgekehrt: Die Zeit sieht sie nicht.
Sie vergeht in Stürmen.

Es lohnt sich nicht, denken sie,
denkt auch die Zeit: Es lohnt sich nicht.
Nur das Haus, es bleibt und wartet,
ohne zu warten. Es dauert. Wie lange noch?

Die Vögel, die Nester, das Moos, der Regen,
der nach Osten zog, in die Steppe,
an 4000 Montagnachmittagen.
Wo sind sie geblieben? Wer sammelt sie?

Da steht es, das Haus, seit 82 Wintern,
in einer Halle ohne Wände und Dach.
Wo ist Gott? Wo sind die Vögel?
Was ist Frühling? Was ist Winter?

Heute um 10 begann irgendwas.
Es ist egal.
»Vor deiner Haut beginnt die Fremde.«
(Herrmann Lenz)

17.03.2011

Lauf nach Hause,
kleiner Hund.
Lauf!

Auf den Gipfel der Meere,
über den Grund der Berge,
dann links.

Lauf nach Hause,
kleiner Hund.
Lauf!

16.03.2011

Hochuninteressant.

13.03.2011

Die Natur hat versagt.
»By day the banished sun circles the earth like a grieving mother with a lamp.«
(Cormac McCarthy)
Woher weiß das NIE, was nie zuvor gewesen ist?

12.03.2011

The machine against rage.

10.03.2011

Warschau

Schnee fällt und steigt
ohne jede Richtung.
Eine Flocke schmilzt
im Flaum auf dem Arm
eines Mädchens.
Niemand sieht es,
niemand weiß:
Sie möchte schweben
über einer Herde
schlafender Kühe.
Mutter! So warm.

Niemand schreibt
ihren Namen
in das beschlagene Fenster,
niemand weiß,
wie es weitergeht
und warum,
nur dass.

Der Schnee
fällt weiter und steigt
ohne jede Richtung.
Das Mädchen friert,
die Scheiben,
die Kühe,
Mutter! So kalt.

Nicht traurig
und auch nicht wahr.
Sind wir schon müde?
Wir sind nichts, das aber sehr.
Ich bin ein weicher Hund.

08.03.2011

Dass das alles jetzt
schon so lange hin ist

Dass du der wirst,
den du fürchtest

Dass du am Ohr
des Pfaffen kauen wirst
vor Kummer und Einsamkeit

Dass der Fluss,
in dem du badest,
voll ist von verirrten Haien

Dass dein Schlaf,
so lang du auch schläfst,
immer enttäuscht sein wird

Dass einer, der weg rennt,
ohne zu rennen,
trotzdem weg ist
am Ende –

Hat dir das niemand gesagt?
Hat dir das niemand gesagt?


Ute Mahler

07.03.2011

Dieser Fluss ist voller verirrter Haie. Hat dir das niemand gesagt?


Werner Mahler
»Ich bin so jung, und die Welt ist so alt.«
(Georg Büchner)

05.03.2011

»Papa,
die anderen Kinder
haben gesagt,
dass Hitler
schwule Männer
verhaftet hat,
obwohl er selbst
schwul war.
Stimmt das?«

»Ich weiß nicht.
Wenn die anderen
Kinder
das sagen,
wird es
schon stimmen.«
Kraft wie ein Stein.

03.03.2011

Wenn er nun 14 oder 15 Jahre alt gewesen wäre – aber mit 32?
(Thomas Bernhard)

01.03.2011

Ein Bettler stand krumm in der Passage. Es war etwas mit seinem Fuß, eine Entzündung an der Sohle vielleicht, eine Verwachsung, ein Sporn. Der Bettler aber lächelte. Er lächelte wie ein Verlierer und merkte es nicht mehr.
Als nun ein Passant vorüberging, hob der Bettler sich aus seiner Haltung. Er wankte, tanzte auf dem Schmerz im Fuß. Endlich geriet er ins Pendeln. Er pendelte wie ein Spielzeug auf einem ovalen Rad. Es war ein Rhythmus, der kein Rhythmus war und doch ein Rhythmus, wenn er fiel und sich fing und wieder fiel. Er fiel auf den Passanten zu, der wie gekitzelt, wie gezwickt zur Seite ausscherte. Da fing sich der Bettler, und mit dem Münzbecher klappernd, bat er um Geld.
Auch der Passant lächelte jetzt wie ein Verlierer. Lächelnd ging er fort. Nie zuvor war er einem solch sympathischen Bettler begegnet.

Was der Mitbürger sah, ohne einzugreifen

»Die Frau fuhr drei Säcke voll Laub mit dem Kombi in den Wald. Sie wollte das Laub entsorgen. Auf dem Forstweg zerrte sie dann die Säcke aus dem Kofferraum. Sie schnaufte. Sie wollte schnell sein, so schnell, dass niemand sie erwischt. Der Motor lief. Die Frau schüttete. Da kam die Polizei, und sie fing die Frau. Die Frau quiekte. Dann weinte sie, als sie im Polizeiauto saß und die Polizei das Laub fotografierte. Der Kombi wurde abgeschlossen. Und dann«, gab der Mitbürger an, »fuhr die Polizei mit der Frau davon, ohne Martinshorn, aber mit Blaulicht.«
Hebe Deine fetten Fäuste
wie Antennen
zum Himmel.

Und parke in der Sonne.

Du bist groß.