31.07.2012

Die halbe Stunde der Wahrheit.
»Dieser Frau wurde im Busch ihr Kind getötet. Jetzt muss sie Amme sein für ein kleines Ferkel, dem die Mutter starb. So will es ein dunkles Gesetz der Chimbu.«

(Mondo Cane)
Mein Leben muss neu geschrieben werden.

Er passe auf, dass ihm heute Nacht nichts geschehe, sagte der Vater. Er sei in Sicherheit. Erst da erkannte der Sohn, dass er überhaupt in Gefahr schwebte.

30.07.2012

Hunde: Sie bellen, und je mehr sie bellen, desto mehr bellen sie.


28.07.2012

Die Menschen sind glücklicher als ihre Zeiten. Wer tröstet sie also?
Nicht, dass noch was passiert.

26.07.2012

»All the world is full of suffering. It is also full of overcoming.«

(Helen Keller)

»Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach.«

(Offenbarung 6,8)
In einer Zeit vor unserem Land.

23.07.2012

»Einer geht immer auf und ab. Das ist der Traurigste.«

(Wolfgang Herrndorf)
»The rain falls upon the just
And also on the unjust fellas
But mostly it falls upon the just
Cause the unjust have the just's umbrellas«

(Cormac McCarthy)

22.07.2012

Was ist das Uninteressanteste, für das du dich interessierst?
Was ist das Interessanteste, für das du dich nicht interessierst?
Ein Abend, der nur aus Erwähnungen besteht.
Das Herz rast nur mehr langsam.

20.07.2012

»Their life is mysterious, it is like a forest; from far off it seems a unity, it can be comprehended, described, but closer it begins to separate, to break into light and shadow, the density blinds one. Within there is no form, only prodigious detail that reaches everywhere: exotic sounds, spills of sunlight, foliage, fallen trees, small beasts that flee at the sound of a twig-snap, insects, silence, flowers. And all of this, dependent, closely woven, all of it is deceiving. There are really two kinds of life. There is, as Viri says, the one people believe you are living, and there is the other. It is this other which causes the trouble, this other we long to see.«

(James Salter)
In der Nacht läuft der Hase über den Friedhof, vorbei an den Zypressen, dem steinernen Löwen, den Gießkannen, dem Karren für die verwelkten Gestecke. An den Gräbern der Erschossenen bleibt er stehen und kann nicht wissen, warum.

19.07.2012

Dorfstraße 52

Es schneit Salz, den ganzen Tag schon, die Hunde bellen in die Hecke, und die Alte hinterm Christstern kocht Steine für die Enkel. Sie starrt mich an wie eine Moorhütte. Ja, doch – ich bin mir sicher: wie eine Moorhütte. Aus Fenstern, nicht aus Augen. Hinten, am Wald, kippt einer Laub in den Graben. Der letzte Bus fort von hier fuhr heute Morgen um 7:23 Uhr.
»If I had not existed, someone else would have written me, Hemingway, Dostoevski, all of us.«

(William Faulkner)

18.07.2012

Über diesen Dörfern, diesen Höfen, diesen Stuben –
müssten die Geier kreisen. Sie tun es nicht.
Warum auch.
Gott weiß es,
und du bist auf Erden.

17.07.2012

»Ich fühle mich«, sagte sie, »irgendwie so...«
Es hätte alles sein können. Also auch nichts.

16.07.2012

Ich schwöre –
im Urlaub
höre ich Stimmen.
»Die Begräbnisse kommen
dichter und dichter
wie die Straßenschilder
wenn man sich einer Stadt nähert.«

(Tomas Tranströmer)
Du hast mich öfter im Sitzen schlafen sehen als ich mich selbst.

13.07.2012

Ich stehe noch immer hier im Garten, wohin du mich gestellt hast, letzten Frühling, weißt du noch? Und wann immer du hustest, sagst du meinen Namen. Ich bin das Denkmal einer Vogelscheuche, ich kann warten, die Krähen lieben mich.
Tag des internationalen Selbstgesprächs.
»Even the damned in hell have the community of their suffering.«

(Cormac McCarthy)

12.07.2012

Selbstbildnis mit Gott

Ein andermal lag Gott auf meinem Schoß wie ein erschöpfter Jaghund, schlief ein und träumte, dass er die Hasen doch noch zu packen kriegt, ihnen das Genick durchbeißt, allen, ohne Ausnahme. Seine Beine zuckten im Schlaf, er winselte.
»Was ist mit dir?«, fragte ich Gott, als er aufwachte. »Ach«, sagte er, »frag lieber nicht.«



10.07.2012

»An' then things ain't so lonely anymore. An' then a hurt don't hurt so bad.«

 (John Steinbeck)


08.07.2012

Speak now love to me of your return.

Die Eltern und ihr Sohn

Sie riefen seinen Namen im Garten. Er war einer schwebenden Daune gefolgt bis ans Ende des Dorfes.
Sie zeigten ihm die Fische im Wasser. Er sah nur das Fließen des Flusses und wusste doch nichts vom Meer.
Sie fanden ihn im Regen. Er sagte, er habe die Tropfen bis Tausend gezählt.
Sie kauften ihm ein Paar Schuhe. Er bewahrte sie in der Schachtel auf wie einen Schatz, bis sie ihm zu klein geworden waren.
Sie warteten vor dem Haus auf ihn. Er saß noch am Fenster und schaute hinaus auf die Wiese, wo am Morgen zuvor ein Hase gesessen hatte.
Sie putzten einen Apfel blank und reichten ihn ihm. Er hielt ihn in Händen und biss nicht hinein.
Sie betrachteten das Blatt, über dem er schon Stunden saß mit einem Stift in der Hand. Er hatte nichts gemalt.
Sie wünschten sich ein Lied von ihm. Er sang nur einen Ton, bis er keine Luft mehr bekam.
Sie hörten ihn weinen. Er hatte vergessen, warum er traurig war.
Sie wandten sich nach ihm um auf dem Weg durch den Wald. Er stand im Laub bis zu den Knien und schlief.
Sie steckten eine Kerze an am ersten Winterabend. Er hockte noch davor, als sie erlosch.
Sie zogen ihm die Decke über die kleinen Schultern in der Nacht. Er sah sie aus weiten Augen an.
Ihr Sohn, sagten die Eltern, vergesse die Zeit.
Tatsächlich aber war es umgekehrt.
Dem Vogel ist das alles zu hoch.

06.07.2012

»Solitude. One knows instinctively it has benefits that must be more deeply satisfying than those of other conditions, but still it is difficult.«

 (James Salter)

 
Der Tag schmeckt nach Messing.
Die Sprache der Sprache.

04.07.2012

Weniger
kann ich dir
nicht sagen –
tut mir
leid.
»The summer has ended. The garden withers. The mornings become chill. I am thirty, I am thirty-four – the years turn dry as leaves.«

(James Salter)

Nachlass

Auf dem Tisch, neben den Büchern, lag ein Kabel, von dem er nicht mehr wusste, zu welchem Apparat es gehörte. Dann, bei dem Gedanken, er würde es einfach dort liegen lassen, kamen ihm die Worte »für immer« in den Sinn. Und mit einem Mal schien es ihm doch noch vorstellbar, dass etwas von ihm bliebe.
Sie lebte auf den Tod hin,
aber sie starb nicht auf das Leben hin.